ERSTE GUTE ANSÄTZE – ABER NOCH VIEL LUFT NACH OBEN

Es stinkt. Penetrant. Ein Tankwagen, voll beladen mit pasteurisierten Fäkalien, fährt vor. Die Fracht wird in eine Vorgrube gepumpt. Gleichzeit schaufeln Arbeiter diverse Abfälle einer nahegelegenen Molkerei der Fan Milk Ghana, eine Firmentochter des weltweit agierenden Lebensmittelkonzerns Danone, und feine Schrotreste einer lokalen Getreidemühle in die Grube hinein. Das Rührwerk mixt die breiige Biomasse fleißig, bis sie in den im Boden verbauten Fermenter gelangt. Die (mesophile) Gärung läuft bei einer Temperatur von 38 Grad Celsius ab, die Verweildauer beträgt rund 45 Tage. Dies garantiert, dass pathogene Keime weitestgehend im Gärprozess eliminiert werden. Hinter dem Gärbehälter und seinem darüber befindlichen Tragdach, in einer Ecke des weitläufigen Betriebsgeländes der Firma Safisana in Ashaiman östlich der Hauptstadt Accra, stehen in einem Container zwei Gasmotoren mit je einer Leistung von 100 kW. Die Aggregate sind von der niederländischen Firma Sandfirden Technics B. V.  aus Den Oever am Ijsselmeer geliefert worden. Der vom Biogas erzeugte Strom wird unmittelbar hinter dem Betriebszaun, vor dem einige Schweine grasen, ins ghanaische Stromnetz eingespeist – zu einem lächerlich niedrigen Tarif.

Dazu aber später. Gegenwärtig zählt Safisana 40 Mitarbeiter, die alle mit Maske ihrer Arbeit nachgehen. Die kombinierte Biogas- und Kompostierungsanlage besteht seit 2017 und ist einer der ersten ihrer Art in Ghana, einem westafrikanischen Land, wo bisher nur zwei Drittel der Abfälle – es sollen landesweit täglich rund 3.500 Tonnen sein – eingesammelt werden. Dabei liegt die organische Fraktion bei beachtlichen 60 Prozent, wie ghanaische Experten schätzen. Noch bescheidener sieht es im Bereich der Abwasseraufbereitung aus. Nach Angaben vom Geschäftsführer von Safisana in Ghana, Elikplim Asilevi, werden nur spärliche 20 Prozent der Abwässer in der Millionen-Stadt Accra erfasst. Der Rest fließt über oberirdische Kanäle direkt in die Vorfluter respektive Flüsse und landet dann direkt im Atlantik.

Eine Katastrophe. Für die Umwelt, aber auch für die Menschen selbst. Denn die offenen Abwasserkanäle sind bei Temperaturen von 30 Grad Celsius und mehr ein denkbar gefährliches Medium für eine Reihe von Krankheitserregern. Tatsächlich ist es ideale Brutstätte für Malariamücken. Sogar die Cholera ist ein reales Thema in den ghanaischen Großstädten. Wegen mangelnder sanitärer Einrichtungen sterben viele Menschen. Diese prekären Umstände zu lindern, bestenfalls zu ändern, war vor einigen Jahren das Hauptmotiv für die Gründer von Safisana, damit zu beginnen, die Fäkalien von weit mehr als 20.000 privaten und öffentlichen Toiletten einzusammeln. Es geht also in allererster Linie um eine Verbesserung der sanitären Situation im Stadtteil und um Gesundheitsschutz der dort lebenden Menschen. Man kombiniert diesen Kernansatz mit dem Kreislaufgedanken: So durchlaufen die Fäkalien ein Upcycling, bei dem einerseits grünes Gas erzeugt und andererseits wertvoller Kompost gewonnen wird. Dabei beabsichtigt Safisana, dieses Modell zukünftig auch in anderen afrikanischen Ländern wie Uganda, Elfenbeinküste, Kenia und Ruanda zu etablieren.

So landen derzeit auf dem Gelände von Safisana in Ashaiman rund 11.000 Tonnen Fäkalien sowie 3.000 Tonnen Gemüsereste, die von großen Märkten im Großraum Accra anfallen und eingesammelt werden. Hinzu kommen noch weitere Chargen wie Getreide und Reste aus der Produktion von Säften, Milchprodukten, Tomaten und auch aus der Kakaoverarbeitung, ist doch Ghana nach der benachbarten Elfenbeinküste die Nummer zwei im Weltkakao-Anbau.

Mit den von Safisana eingesammelten biogenen Abfälle sind im Jahr 2023 insgesamt 685 Megawattstunden Strom erzeugt worden. Und auch die Kompostierung kann sich sehen lassen: Rund 864 Tonnen Kompost, zertifiziert von der staatlichen Plant Protection and Regulatory Services Directorate (PPRSD), die dem ghanaischen Landwirtschaftsministerium untersteht, sind erzeugt worden. Abnehmer sind in der Regel Kleinbauern aus dem Großraum Accra, aber auch Händler und Plantagenbesitzer, ob nun von Ölpalmen, Bananen oder Kakao. Da die Kompostierung in Ghana kaum eine agrarkulturelle Tradition hat und sich viele Bauern bislang wenig Gedanken über Sinn und Zweck von Kompostprodukten gemacht haben, demonstriert Safisana mit eigenem Gewächshaus und Freibeeten, welche guten Ergebnisse man in Gärten und auf Feldern mit Kompostgaben erzielen kann. „Wir investieren viel Zeit und Aufwand, um Aufklärungsarbeit in Sachen Kompost zu leisten. Mit Erfolg, denn die Haltung der Bauern zum Kompost ändert sich gerade, sie erkennen mehr und mehr die Vorteile“, so Elikplim Asilevi. Das Interesse am organischen Dünger wachse auch deshalb, so Asilevi weiter, weil es seit dem Beginn des russisch-ukrainischen Krieges auf dem westafrikanischen Düngermarkt einige Verwerfungen gegeben hat; es ist in den vergangenen zwei Jahren zu massiven Engpässen und deshalb zu enormen Kostensteigerungen gekommen. Zum Vergleich: Die gesamte in Ghana anfallende Kompostmenge betrug im Jahr 2023 rund 18.000 Tonnen, hergestellt von nur zwölf Kompostierern. Kein Zweifel: Da ist in der jungen Kompostbranche in Ghana noch sehr viel Luft nach oben.

Derweil setzen die Safisana-Mitarbeiter ihre Kompost-Mieten unter freiem Himmel mehrmals um. Und wie überall auf der Welt sind auch in Ghana viele Fremdstoffe enthalten, die am Ende der 90-tägigen Kompostierungphase, bei dem mindestens für eine Woche eine Temperatur von 60 Grad Celcius erreicht wird, aufwendig herausgesiebt werden müssen. Der Fertigkompost wird bei einem Trockenmassengehalt von ca. 80 Prozent in Säcke à 30 Kilogramm abgefüllt. Der Preis für einen Sack beträgt zu Beginn des Jahres 2024 vier Euro. Das klingt zwar nach relativ viel, doch erlösen die Kompostierer im Osten von Accra damit nicht einmal 120.000 Euro im Jahr. Angesichts des großen Aufwandes ein nur kleiner Erlös, der die Kosten des Betriebes bei Weitem nicht deckt.

Zumal auch die Gewinnung von Biogas unter der aktuell himmelschreiend niedrigen Einspeisevergütung, die momentan bei weniger als zwei Eurocent liegt, wahrlich nicht viel einbringt. Woran das liegt? „An der Ignoranz der Energiepolitik. Der Energiesektor in Ghana ist nicht liberalisiert. Die Große Wasserkraft deckt zu 30 Prozent den Strombedarf ab“, holt Elikplim Asilevi aus, „während der Anteil der übrigen erneuerbaren Energien, also Wind, Solar und Biogas, nur bei drei Prozent liegt. Das ist richtig wenig.“ Das ärgert ihn sichtbar. Dass in solchen energiepolitischen Strukturen ausgerechnet Ghana ein potenzielles Land für die Wasserstoffproduktion in Richtung Deutschland sein soll, erschließt sich dem kritischen Beobachter nicht.  „Dabei ist das Potenzial allein von Biogas hierzulande groß“, unterstreicht Asilevi, „nicht zuletzt auch deshalb, weil die internationalen Lebensmittelkonzerne auf ihre Töchterunternehmen Druck machen, denn sie wollen bzw. müssen zukünftig klimaneutraler produzieren. Der Einsatz von Biogas könnte dafür ein wichtiger Hebel sein.“ Für Safisana könnte das obendrein eine neue Chance sein, aus der „elektrischen Falle“ herauszukommen. So überlegt man sich, ob man das gewonnene Biogas komprimiert und mittels Tankwagen zu den Industriebetrieben transportiert, wo es dann je nach Bedarf für Strom, Wärme, Kälte oder Druck genutzt werden kann.

Aber das ist bislang nur Zukunftsmusik. Denn noch wird das Biogas auf der Anlage weiterhin verstromt und zu schlechten Vergütungssätzen ins staatliche Stromnetz eingespeist. Angesichts dieser wenig zufriedenstellenden Situation erhofft sich Safisana vom internationalen Carbon-Credit-Handel neue Erlöse. Dafür ist die KliK, eine private Organisation für Klimaschutz und CO₂ Kompensation in der Schweiz, engagiert worden. Die Schweizer KliK agiert im Rahmen des CO₂-Gesetzes und soll dem öffentlichen Interesse dienen. Sie wurde einst 2012 von der Schweizerischen Erdölvereinigung (heute Avenergy Suisse) gegründet, um der gesetzlichen Verpflichtung der Schweizer Treibstoffimporteure nachzukommen. Ihre Aufgabe ist es heute, einen Teil der Treibhausgasemissionen des Schweizer Verkehrssektors durch die Finanzierung, Unterstützung, Planung und Umsetzung von Klimaschutzaktivitäten im In- und Ausland zu kompensieren. Seit 2022 hat die KliK auch die Möglichkeit, unter Artikel 6.2 des Pariser Klimaabkommens in denjenigen Ländern aktiv zu werden, die ein bilaterales Klimaabkommen mit der Schweiz unterzeichnet haben. Wozu auch Ghana gehört. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass die KliK schon bald den Kauf von Emissionsreduktions-Zertifikaten, in denen die von Safisana in ihrem Arbeitsprozess eingesparten Tonnen an CO2  abgebildet sind, in Angriff nehmen wird.

Noch ist es allerdings nicht so weit; und so brauchen die Kompost-Pioniere in Ghana noch reichlich unternehmerisches Durchhaltevermögen, um den Plan, weitere Kompostanlagen in verschiedenen Regionen des Landes zu bauen, auch weiterverfolgen zu können. Immerhin konnte Safisana schon eine weitere Kompostanlage in Kumasi inn Betrieb nehmen. Dabei ist es hilfreich, dass die aktuelle ghanaische Regierung zumindest die lokale Kompostierung befürwortet, auch weil wegen klammer Staatskassen die Subventionierung von Kunstdünger aus dem Ausland im Vergleich zur Aktivierung von organischen Düngern im Inland langfristig einfach keinen Sinn mehr macht.

AUTOR: DIERK JENSEN

Die Safisana Holding hat ihren Hauptsitz in Weesp bei Amsterdam. Das niederländische Unternehmen ist im Jahr 2009 von Aart van den Beukel gegründet worden. Ziel aller Aktivitäten ist es, in einkommensschwachen Ländern das Abfallproblem lokal zu lösen und gleichzeitig Energie zu erzeugen sowie Nährstoffkreisläufe zu schließen.

www.safisana.org

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Fotos: Jörg Böthling